Voller Vorfreude startete ich in meine erste Reise nach Übersee, die vielen positiven Berichte über die Zieldestination hatten meine Erwartungen stark ansteigen lassen. Zwischen den letzten Prüfungen an der ETH Zürich hatte ich knapp eine Woche zur freien Verfügung bis das Austauschsemester in Vancouver begann: ideal um ein erstes Mal Vancouver Island zu besuchen. Ich war von den Gegensätzen fasziniert: Ausgedehnte Sandstrände und schroffe Felsen wechseln sich an der Küste ab, während unmittelbar dahinter feucht-temperierter Regenwald in den verschiedensten Grüntönen gedeiht. Im Oktober und November durfte ich selbst erfahren, wieso dieser REGENwald heisst: es regnete für mehrere Wochen praktisch ununterbrochen. Gefühlt bestand der einzige Unterschied im täglichen Wetter in der Intensität des Niederschlages – aber auch bei Dauerregen kann es sich lohnen, auf Fotopirsch zu gehen.
Mit einem Secondhand Bike „erkaufte“ ich mir etwas Freiheit: fortan waren Distanzen von bis zu 40km gut mit dem Fahrrad zu bewältigen, und ich war weniger auf den öffentlichen Verkehr angewiesen. Meine ersten Ausfahrten widmete ich den Kanadareihern, welche glücklicherweise einigermassen zutraulich waren. Oft fotografierte ich bis weit nach dem Sonnenuntergang, die Belichtungszeit war dementsprechend lang. Es glich einer Lotterie, den Moment zu erwischen, wenn der Reiher während der Belichtungszeit für einige Sekunden auch wirklich stillhielt.
In den Feuchtgebieten rund um Vancouver rasten zur Zugzeit hunderte Limikolen. Während ich den Grossen Schlammläufer fotografierte, wurde ich selbst zu einem „Schlammläufer“: ziemlich durchnässt und verschlammt, aber glücklich radelte ich nach der Fotosession nach Hause.
Nicht immer war das Fotografieren mit längeren Fahrradtouren verbunden, manchmal genügte auch ein Blick zur richtigen Zeit aus dem Zimmerfenster. Während einer Lernpause zogen ein paar im Garten umherfliegende Vögel meine Aufmerksamkeit auf sich. Die Halsbanddrosseln landeten direkt unter meinem Fenster auf einem Beerenbusch. So schnell wie nur möglich packte ich meine Fotoausrüstung und rannte aus dem Haus. Zu meiner Freude befanden sie sich immer noch am gleichen Busch. Erst später bemerkte ich, dass ich vor lauter Aufregung den Schlüssel drinnen vergessen hatte und ich mich somit ausgeschlossen hatte. Der Ersatzschlüssel war jedoch schnell besorgt ;-)
Grosse Beutegreifer sind für mich das Sinnbild mehr oder weniger intakter Natur. Daher hoffte ich nach dem Erhalt der Bestätigung für meinen Austausch in Vancouver, ihnen in der kanadischen Wildnis zu begegnen. Auch wenn ich mir fototechnisch noch etwas mehr erhofft hatte, war meine erste Begegnung mit einem Grizzly auf wenige Meter ein emotionales Erlebnis, welches mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Ein weiteres persönliches Highlight waren die Beobachtungen der Kojoten. Sie ähneln dem Wolf und sind auch nahe mit ihm verwandt, wobei ihre Nahrung hauptsächlich aus kleineren Säugetieren besteht. Ich versuchte mich hinter liegenden Baumstämmen an den Kojoten heranzupirschen. Da er mit Mausen beschäftigt war, gelang dies erstaunlich gut.
Ende Oktober kamen die ersten Schneegänse in Vancouver und Umgebung an. Auch wenn sie zu einer der häufigsten Wasservogelarten in Nordamerika gehören, faszinieren mich die Gruppen von tausenden Individuen: fliegt eine solche Truppe laut schreiend auf und über einen hinweg, ist Gänsehaut-feeling garantiert. Dementsprechend oft bin ich mit dem Ziel losgefahren, die Schneegänse zu fotografieren. Jedoch habe ich sie nur einmal an dem gewünschten Ort angetroffen. Ein Kojote auf der Suche nach einem Festmahl versetzte die Schneegänse dann in Aufruhr, so dass alle praktisch gleichzeitig aufflogen und ich die Möglichkeit hatte, den Start der Gänse zu fotografieren.
In den umliegenden Bergen am Nordrand der Stadt Vancouver schneite es immer wieder ausgiebig. Nach einer Wanderung durch den tiefverschneiten Regenwald trafen ich und ein Kollege immerhin einen Diademhäher an. Es sollte der einzige Häher an diesem Tag bleiben, allerdings war er kooperativ und liess sich auch mit dem Weitwinkel fotografieren.
Der nächste Schwerpunkt meiner fotografischen Tätigkeit haben die Sumpfohreulen gebildet, welche in den Feuchtgebieten überwintern. Mit rudernden Flügelschlägen scheint die Eule über dem Marsch zu schweben, um dann blitzschnell nach unten zu stürzen, wenn sie eine Maus entdeckt hat. Dem durchringenden Blick der leuchtend gelben Augen entgeht so gut wie nichts.
Als „Supplement“ tauchte während dem Warten auf die Sumpfohreulen noch eine Schleiereule auf und liess sich fotografieren.
Um einige spannende Erfahrungen reicher und mit zahlreichen Fotos im Gepäck flog ich Ende Dezember wieder in die Schweiz. Während den vier Monaten in British Columbia wurden meine hohen Erwartungen mehr als nur erfüllt. Unter den vielen eindrücklichen Erlebnissen waren die Beobachtungen der grossen Beutegreifer, der Schneegänse und der Sumpfohreulen die emotionalen Highlights.